Marcus Bilgeri, Content-Marketing-Stratege und Geschäftsführer der innogy.C3 GmbH (Joint Venture von C3 und der RWE-Tochter innogy) über Content-Marketing, strategische Ansätze, interne Herausforderungen bei Unternehmen uvm.

Einer meiner Sparring-Partner im regelmäßigen Erfahrungsaustausch zu Content-Marketing und Content-Strategie-Projekten ist Marcus Bilgeri, den ich vor knapp 3 Jahren auf der Content World in Frankfurt kennenlernte. Wie das manchmal so ist: aus einem flüchtigen kennenlernen entwickelten sich regelmäßig viele Interessante Gespräche und Erfahrungsaustausche.

Da ich diesen Austausch mit Marcus sehr schätze, möchte ich Euch seine „Insights“ und Erfahrungen nicht vorenthalten und habe ein Gespräch mit ihm schriftlich festgehalten.

Maël: Könntest du dich und deinen Werdegang kurz vorstellen? Was machst du derzeit und wie kamst du dazu?

Marcus: Natürlich gerne: Ich habe BWL und Wirtschaftsinformatik an der Universität Mannheim studiert. Kurz vor Ende meines Studiums habe ich mir noch zwei Urlaubssemester gegönnt und für die Lufthansa „FlyNet – Breitband-Internet im Flugzeug“ auf der Teststrecke „Frankfurt – Washington D.C.“ eingeführt. Ein sensationeller Job und der Anfang meiner „digitalen Karriere“.

Da ich mich nach dem Studium noch nicht für einen speziellen Fachbereich in einem Unternehmen entscheiden wollte und mich selbst als „Führungskräftenachwuchs“ empfand, entschied ich mich im August 2004 für ein internationales Trainee Programm. Und zwar – man höre und staune – bei der Deutschen Telekom AG. Teil des Programmes war auch ein mehrmonatiger Auslandsaufenthalt, den ich in Beijing, China zur Unterstützung der Detecon (Deutsche Telekom Consulting) verbrachte. Die interkulturellen Herausforderungen gepaart mit den sehr anspruchsvollen Beratungsprojekten, haben mich und meine Persönlichkeit noch mal stark weiterentwickelt. Wieder zurück in Deutschland durchlief ich verschiedene Bereiche im Telekom Konzern (CRM, Customer Care, Sales, Marketing). Hierdurch bekam ich sehr schnell einen guten Überblick über das Unternehmen und baute mir innerhalb von wenigen Monaten ein großes Netzwerk auf, von dem ich in der Zukunft immer wieder profitieren sollte. Nach Anfrage und Empfehlung der Personalabteilung wechselte ich dann irgendwann ins sog. „Corporate Office“ und wurde Vorstandsassistent. Ein Karrieresprungbrett und –beschleuniger, wie sich kurze Zeit später raustellte.

Es folgten erste Management-Positionen in den Bereichen CRM, Retention Management, Vertriebs- und Markenstrategie. Die längste Zeit verbrachte ich im Bereich „Brand Strategy and Marketing Communications“ bei Hans-Christian Schwingen, dem „CMO of the year 2016“. Meine Hauptaufgaben hier waren die Steuerung der konzernübergreifenden Marketing- und Kommunikationsplanung sowie die Verantwortung für die Entwicklung und Steuerung der Nachhaltigkeitsoffensive des Konzerns „Große Veränderungen fangen klein an“, die später mit einem „Effie-Award“ ausgezeichnet wurde.

In dieser Zeit, in der ich viel mit großen Kreativagenturen zusammenarbeitete, entdeckte ich meine Leidenschaft in der Verknüpfung von „Strategie“ und „Kreation“, um effiziente, relevante Kommunikation zu entwickeln. Nach 9 Jahren Telekom-Konzern wechselte ich dann 2013 auf Agenturseite. Zunächst baute ich als Geschäftsführer den Kölner Standort der Social Media Agentur „webguerillas“ (jetzt TERRITORY webguerillas) auf und aus.

Knapp 3 Jahre später bekam ich dann die Chance Geschäftsführer der UDG (United Digital Group), einer der größten Digitalagenturen Deutschlands, in Düsseldorf zu werden. Mein Team wuchs auf knapp 70 Mitarbeiter. Ich hatte mehr Verantwortung, größere Kunden und das Leistungsspektrum einer Full-Service-Agentur.

Im Anschluss war ich als „Executive Director Digital & Content“ und Teil des Leadership-Teams bei Havas Germany tätig. Havas ist das größte inhabergeführte Agenturnetzwerk der Welt. Dort habe ich den Ausbau des Digitalgeschäftes sowie die Weiterentwicklung der Angebotsmarke „Havas Content“ vorangetrieben.

Seit Anfang 2018 bin ich als Geschäftsführer für die unternehmerische Führung und übergeordnete operative Steuerung der innogy.C3 GmbH verantwortlich. Die innogy.C3 ist ein Joint Venture von Deutschlands führender Content-Marketing Agentur „C3 Creative Code and Content“ und dem führenden deutschen Energieunternehmen „innogy SE“. Die neue hybride, digitale Agentur mit Sitz in Essen wird zunächst etwa 50 Mitarbeiter beschäftigen. Wir übernehmen für Innogy Aufgaben rund um Agenda Setting, Content Creation, Social Media, User Experience & Interaction Design, Data Science & Business Intelligence, Development sowie Performance Marketing.

Maël: Du sprichst und arbeitest mit vielen großen Unternehmen unter der „Content-Flagge“. Wie ist deines Erachtens die Wahrnehmung des Themas „Content-Marketing“ oder Content-Strategie?

Marcus: Aus meiner Sicht wird „Content Marketing“ und „Content Strategie“ (und dass was man damit kommunikativ bewirken kann) sowohl auf Agentur- als auch auf Unternehmensseite unterschätzt. Das liegt zum einen an dem Begriff „Content Marketing“. Einem Begriff, der inflationär gebraucht wird, schwammig definiert und letztlich vielleicht gar nicht der passende Begriff ist. Denn wie man am Ende des Tages moderne, relevante Kommunikation betitelt, ist tatsächlich egal, wenn man transparent den positiven „Return on Marketing Investment“ (ROI) nachweisen kann.

Ich selbst spreche daher gerne und lieber von „Customer Experience Management“…

Maël: Amen! Das finde ich als „Perspektive“ (es geht um die Summe der „Content-Experiences“) auch ungemein wichtig!

Marcus: … Ja, denn die Summe aller Erfahrungen eines Kunden mit einer Marke über alle Touchpoints der Customer Journey, entscheiden sowohl über das „Relevant Set“ des Kunden, als auch den „Kauf (die Nutzung)“ selbst, und natürlich auch über die „Loyalität“ gegenüber einer Marke. Eine kürzlich veröffentlichte Havas-Studie („Meaningful Brands 2017“) hat die Inhalte der 1.500 weltweit führenden Marken analysiert und festgestellt, dass mehr als 60% des produzierten Contents aus Kundensicht ohne jeden Mehrwert und damit „für die Tonne“ sind.

Diese „Content Flut“ überschwemmt alle Kanäle und führt dazu, dass mittelmäßige Inhalte, die Unternehmen ohne Plan und Strategie verteilen, in der Masse untergehen. Nur was hervorsticht, entfaltet Wirkung. Wie werde ich zu einer „meaningful brand“? Wie erstelle ich „meaningful content“? Und hier hilft m. E. die Philosophie des „Content Marketing“ und eine „Content Strategie“. Denn die hier zugrundeliegende strategische Vorgehensweise liefert den Grundstein einer jeden erfolgreichen modernen Kommunikationsstrategie (und zwar egal ob Content Marketing- oder Werbe-Kampagne).

[bctt tweet=“Mittelmäßige Inhalte ohne Plan und Strategie gehen in der Masse unter – @marcusbilgeri“ username=“MaelRoth“]

Maël: Es gibt ja schon viele Content-Frameworks, welches benutzt du? Oder wie würdest du so kurz und wirkungsvoll wie möglich ein benötigtes Framework anbringen?

Marcus: Jeder Marken- und Marketing-Verantwortliche sollte heute idealerweise folgende 6 „W“-Fragen hinreichend beantworten können:

  1. Warum? -> Welches Ziel verfolge ich? Welche KPIs messen die Zielerreichung?
  2. Wer? -> Wer ist meine Zielgruppe? Wie tickt diese? Wie verhält sie sich?
  3. Was? -> Welche Themen passen zur Marke und sind für die Zielgruppe relevant?
  4. Wo? -> Wo, also über welche Kanäle erreiche meine Zielgruppe?
  5. Wie? -> Welche Content-Formate eignen sich bzw. erzielen die größte Wirkung?
  6. Wann? -> In welcher Phase der Customer Journey kommuniziere ich was, wo, wie?

Wenn Content Marketing (oder Customer Experience Management) nicht funktioniert, lässt sich das häufig auf einen Mangel an strategischer Tiefe zurückführen. Ein planloses Vorgehen führt zu planlosen Inhalten. An der maßgeblichen Bedeutung des Content Marketings ändert das jedoch nichts. Kreativität muss heute Strategie, Datenintelligenz, Technologie und die Idee so kombinieren, dass für Menschen ein echter Mehrwert entsteht.

[Tweet „Wenn Content Marketing nicht funktioniert, lässt sich das häufig auf einen Mangel an strategischer Tiefe zurückführen @marcusbilgeri“]

Maël: Was sind deines Erachtens die besten Beispiele für eine gut umgesetzte und (von aussen) gut nachvollziehbare Content-Marketing-Strategie?

Marcus: Als Juror von Europas größtem Content Marketing Award (BCM-Award, Content Marketing Forum) habe ich in den letzten zwei Jahren einige Kommunikations-Cases gesehen und habe diese mit anderen Experten gemeinsam bewertet. So richtig überzeugt oder sogar umgehauen hat mich da noch nichts. Klar gibt es da die schönen kleinen Content Marketing Cases, die mit Hilfe qualitativer (meist journalistisch, redaktioneller) Inhalte Aufmerksamkeit und/oder Relevanz erzeugen konnten. Aber ehrlich gesagt fehlen mir die großen Cases der großen Marken…

Maël: Wie meinst du das genau?

Marcus: Wo sind die Marken-, Produkt- oder Werbe-Kampagnen, bei denen man im Vorfeld im Rahmen einer zielgerichteten Datenanalyse relevante Zielgruppen, -bedürfnisse, Themen, Kommunikations- und Vertriebskanäle, Content-Formate etc. ermittelt und strategisch konzipiert hat? Die dann im Sinne einer ganzheitlich, positiven Customer Experience (-Strategie) über sämtliche Touchpoints/Schnittstellen (Kommunikationskanal relevanter Content) anhand eines „Strategischen Kommunikations- und Rollout-Plans“ ausgesteuert wird.

Im Moment ist der Hype um das Thema Content Marketing sehr groß. Dabei ist „Content“ nicht neu und auch der Marketingansatz ist nicht neu. Neu ist die Medienlandschaft und die dadurch erforderliche strategische Vorgehensweise.

Hiermit meine ich konkret z.B. den Einsatz und das Zusammenspiel von „Social Listening“, „Erstellung datenbasierte Personas“, „Entwicklung einer kreativen, kommunikativen Leitidee“, „Ableitung eines Kampagnen-Messaging auf Datenbasis“, „qualitativ hochwertige Content Produktion“, „intelligente Content-Distribution“ und „systematische, datenbasierte Erfolgsmessung“. Die ganze Klaviatur. Das Beste aus Kreativ-, Social Media-, Digital-, Content Marketing-, PR-und Media-Agentur.

Um auf Deine konkrete Frage oben zurückzukommen; eine (von außen) gut nachvollziehbare Content-Marketing-Strategie, wenn sie dann existiert (was ja meist nicht der Fall ist), ist noch lange keine Garantie für erfolgreiche Kommunikation. Um hier mehr Erfolgs-Cases in Zukunft zu produzieren, bedarf es meiner Ansicht nach ein stärkeres Zusammenspiel verschiedener Marketing- und Kommunikationsdisziplinen sowie eine stärkere Verknüpfung der Marken-, Content-Marketing- und Vertriebsstrategie.

Das wird sich wahrscheinlich auch in kooperativen Dienstleister-Strukturen wiederspiegeln (gemeinsame Kampagnen-Entwicklung und –Umsetzung zweier Konkurrenz-Agenturen, denn Lücken zwischen den Kompetenzen der Dienstleister wird es immer geben).

Fest steht aus meiner Sicht, dass Konsumenten sich der Unterbrecherwerbung verweigern und manipulierende Kommunikation endgültig ausgedient hat. Menschen schätzen positive Markenerlebnisse und Content mit einem klaren Wert. Aber guter Content (der auf einer umfassenden Content-Marketing-Strategie basiert) ist ein anspruchsvolles und kostenintensives Thema. Wer glaubt mit Content-Marketing-Strategie reduzierte Marketing-Budgets kompensieren zu können, ist definitiv auf dem Irrweg. Ich bin weiterhin gespannt auf die sog. „best cases“.

Maël: Wo siehst du die größten Hürden innerhalb von Unternehmen wenn es um Content-Strategie geht?

Zu den größten Hürden im Unternehmen, wenn es um Content-Strategie geht, gehört wahrscheinlich das nach wie vor bestehende Silo-Denken. Wie eh und je hat die Unternehmenskommunikation ganz andere Ziele und Kommunikationsvorstellungen als die Marketing- oder Vertriebs-Kommunikation. Jeder Bereich hat natürlich einen separaten Bereichsleiter mit individuellen Interessen und selbstverständlich einem separaten Kommunikationsbudget. Nicht selten arbeiten die für Kommunikation verantwortlichen Bereiche mit unterschiedlichem Zielgruppenverständnis, verschiedenen (teilweise konträren) Schwerpunktthemen und unterschiedlichen Zielsetzungen komplett aneinander vorbei.

Das Ergebnis: ein diffuses Markenbild sowie keine einheitliche Customer Experience.

Wenn Content-Marketing Strategie erarbeitet werden soll, dann meistens im Bereich Marketing oder Interne Kommunikation. Meine erste Frage lautet dann immer: gibt es eine übergeordnete Unternehmensstrategie? Und existiert eine Markenstrategie? Also:

  1. Erstens, eine Strategie zu den Unternehmenszielen; wer will man sein, wo will man hin?
  2. Und zweitens, eine Markenstrategie, also welche Markenwerte sind definiert und wie differenziere ich mich gegenüber den Wettbewerbsmarken?

Meistens ist beides nicht vorhanden. Die Betonung der Wichtigkeit dieser beiden Strategien führt nicht selten zu Unverständnis auf Kundenseite.

Wir wollen doch „nur“ eine Content-Strategie, also eine Übersicht über die strategischen Themencluster (z.B. für einen Content Calendar/Redaktionsplan). Wir wollen möglichst schnell anfangen zu arbeiten und nicht wieder Zeit (und Geld) verlieren mit „zu viel Strategie“. Ungeduldige Kunden sind das Ergebnis eines nicht ganzheitlichen Content-Marketing-Verständnisses und einer nichtvorhandenen „Content-Marketing-Kultur“ („culture of content“).

Unternehmen sind hinsichtlich „Data Intelligence“ erfahrungsgemäß schlecht aufgestellt. Die richtige Nutzung und Interpretation von Daten und das Antizipieren von Kundenbedürfnissen müssen meines Erachtens aber der Startpunkt und die Leitlinie für die Aussteuerung und kontinuierliche Optimierung der Customer- (und Content-) Experience werden. Data-Insights als Basis für die Entwicklung nutzenstiftenden Contents. Diesen gilt es – gemäß der Anforderungen heutiger Konsumenten – wertig aufzubereiten und formal für die einzelnen Kontaktanlässe und –kanäle zu konfektionieren, um der jeweiligen Nutzungssituation Rechnung zu tragen. Hierbei benötigen Unternehmen in den meisten Fällen externe Unterstützung.

Maël: Was bedeutet das denn deiner Meinung nach im Sinne von organisatorischen Strukturen?

Marcus: Moderne, digital geprägte Kommunikation erfordert eine fundamentale Reorganisation von Kommunikation in Unternehmen. Einen sehr guten Ansatz sehe ich z.B. im Telekom Konzern bei der sog. „Telekom Content Factory“. Ein erfolgreicher Versuch effiziente Kommunikation konzernübergreifend voranzutreiben. Hierbei geht es um die Produktion von markengerechtem, möglichst kanalunabhängigem (zumindest kanalübergreifend funktionierendem) wiederverwertbarem Content. Dies erfordert eine zentrale Koordination sowie ein intelligentes Zusammenspiel aller beteiligten Abteilungen, Disziplinen und Kompetenzen. Weitere solcher Ansätze entstehen gerade und werden folgen.

[Tweet „Moderne Kommunikation erfordert eine fundamentale Reorganisation von Kommunikation in Unternehmen @marcusbilgeri“]

Es gibt noch viel zu tun. Der Shift von einer eher kampagnengetriebenen Kommunikation hin zu einer „Always on“-Kommunikation ist gleichzeitig sowohl schwierige Herausforderung als auch große Chance für Marken und Unternehmen. Die Herausforderung für Unternehmen eine übergreifende Content-Strategie zu erarbeiten und zu etablieren sind sowohl den internen Silo-Strukturen der Kommunikationsabteilungen zuzuschreiben als auch der Tatsache, dass die einzelnen Agenturdienstleister eines Unternehmens (PR-, Social Media-, Digital- und Media-Agenturen etc.) alle ihre eigene Definition von Strategie, Kreation, Zielgruppe und Content haben. Mittel- bis langfristig muss das Problem (wahrscheinlich durch die o.g. kooperativen Modelle und ein einheitliches Content-Marketing- bzw. Customer Experience-Verständnis) gelöst werden.

Ich bin gespannt.

Maël: Herzlichen Dank für das (mal wieder spannende) Gespräch Marcus und dafür, dass du dein Wissen gerne teilst :=) Ich freue mich auf viele weitere spannende Gespräche!