Das Thema „Leadgenerierung“ nimmt in zahlreichen Marketing-Abteilungen ungesunde Ausmaße an – vor allem im B2B-Marketing und Sales-orientierten Organisationen.

Gerade in kleineren Unternehmen ist das Thema Leadgenerierung für Marketer und die Marketing-Abteilung generell sehr weit oben auf der Prioritäten-Liste. Jedes Jahr erscheint genau diese Zielsetzung ganz oben bei verschiedenen Umfrageergebnissen.

Vor allem im B2B-Umfeld wird das Wort „Lead“ öfter in der Marketing-Abteilung verwendet, als Kinder zu Karneval nach Bonbons schreien können wenn der Karnevalszug gerade seine Runden dreht…

Mit der ein oder anderen Person musste ich sogar schon darüber streiten, was der eigentliche Zweck von Marketing eigentlich ist – einige behaupten, dass „Leadgenerierung“ überhaupt der einzige (!) Zweck von Marketing sei und es keine andere gute Zielsetzung geben kann, als Leads zu generieren.

Ich muss an der Stelle deutlich sagen: ich habe ein Problem damit.

„Marketing“, was ist nur aus dir geworden?

Kennt Ihr noch dieses – unter Marketern logischerweise sehr beliebte – Zitat von Peter Drucker?


„Because the purpose of business is to create a customer, the business enterprise has two–and only two–basic functions: marketing and innovation. Marketing and innovation produce results; all the rest are costs. Marketing is the distinguishing, unique function of the business.“

Leider ist das hier Zugrunde liegende Verständnis irgendwo, irgendwann verloren gegangen. Denn „Marketing“ ist für alle die das Fach mal studiert haben, eine strategisch ausgerichtete Denkweise und ein Berufsbild, das über eine langfristige Vision auf strategische Ziele hinarbeitet: und zwar die erfolgreiche Vermarktung von Produkten und Dienstleistungen, die sich vom Wettbewerb abheben und einen Nutzen für Käufer stiften.

Wann „Marketing“ zu der Abteilung geworden ist, die das mit den bunten Bildchen, den netten Broschüren und Katalogen und den Content-Schleifchen macht und sonstige Events organisiert, ist mir persönlich ein Rätsel (ich freue mich über Aufklärung). Und als dieses digitale Gedöns alles kam und man gemerkt hat „ich kann ja alles messen“, wurde Leadgenerierung zur Obsession des Marketings in einer digitalen Welt.

Eine (gewagte) Theorie meinerseits ist, dass die Digitalisierung dazu geführt hat, dass man sich mehr und mehr auf die Messbaren Elemente fokussierte und die weniger messbaren oder zumindest nicht sofort messbaren immer mehr vergessen hat. Und irgendwann macht man nur noch das, was man schnell und einfach messen kann. Und zwar von Klick zu Klick. Lineares Denken, planen und messen in einer komplexen Welt, in der jeder davon schreibt, dass alles nicht mehr so linear ist.

Wie war das mit der Zielsetzung von Kommunikation?

Im Kontext des Marketing hat Kommunikation ein Ziel: die Wahrnehmung definierter „Zielgruppen“ so zu beeinflussen, dass man zu einem für die Firma profitablen Ergebnis kommt.

Aber wenn ich gute Inhalte, die eben zu einer solchen Wahrnehmungsveränderung beisteuern können und sollen (z.B. Kompetenzführerschaft), schieße ich mir dann nicht selbst ins Bein, wenn ich diese Kommunikation nicht zugänglich mache? Nur weil ich in mein Excel / Spreadsheet ein paar Email-Adressen hinterlegen muss / möchte? Weil dies das Messbarste ist, was ich an Menschenkontakt nachweisen kann?

Versteht mich nicht falsch: Leadgenerierung ist (und war schon bevor ich im Berufsleben einstieg) ein legitimer Teil des Playbooks. Aber eben nur ein Teil.

Diese extreme Fokussierung auf „Leadgenerierung“ nimmt solche Ausmaße an, dass immer weniger über den eigentlichen Inhalt der Kommunikation nachgedacht wird, sondern „Content“ mit der Schrotflinte rausgehauen wird – hauptsache der Inhalt ist halbwegs gut genug, um ihn hinter ein Formular zu packen.

Leadgenerierung im Marketing

Und um Aufmerksamkeit auf jenen Content zu lenken produziert man noch schlechteren Content mit Calls-To-Actions, schreit auf Social Media rum, dass es ein neues Whitepaper oder Ebook zu einem Thema gibt, worüber gerade irgendwie gesprochen wird (ein Happen Digitale Transformation jemand?) und ergänzt das Ganze noch mit einem Schuss Webinar über das eigene Produkt obendrauf (das generiert ja schließlich auch „Leads“). Und wenn das nicht reicht, kann man das ja noch mit einem 5-Gründe-warum-mein-Produkt-so-wichtig-ist-Blogpost versüßen.

Spaß beiseite. Das Ganze Spektakel führt letzten Endes dazu, dass man sicher immer weniger mit der Substanz der Kommunikation, also mit dem Inhalt des Inhalts, auseinandersetzt und vielmehr auf den Output der Produktion fokussiert – denn nur so kann ich diese Herangehensweise skalieren. Und der Besucher freut sich nicht über guten, hilfreichen Content, sondern ist bestenfalls leicht genervt, hofft aber darauf, dass eben nach dem Formular was Gutes bei rumkommt. Lead generiert aber Besucher genervt.

Diese Art und Weise Content für Kommunikation einzusetzen führt für die Abteilung Marketing letzten Endes zu einem Nebeneffekt: man macht sich zu Dienstleister für den Vertrieb.

Marketing als Dienstleister für den Vertrieb?

Wenn Marketing mit Leadgenerierung gleich gesetzt wird, ist die einzig mögliche Erfolgsmessung für jenes Marketing die Anzahl der generierten Kontakte, wie viele dann zu Kunden werden und was man dafür ausgegeben hat. Klingt einleuchtend und relativ einfach. Möglicherweise ist diese Vereinfachung eben auch der Grund für diese Entwicklung.

Doch möchte an dieser Stelle hinterfragen: ist Marketing eben nur ein Dienstleister für den Vertrieb? Ist der einzige Zweck von Marketing nette kleinen Broschüren und Events zu machen oder auf den nächstbesten Klick zu optimieren, so dass vielleicht / hoffentlich eine Email-Adresse dabei rumkommt?

Wenn das Marketing auf diese Zielsetzung hin ausgerichtet wird, führt es auch meistens dazu, dass man sich auf ein limitiertes Toolset von digitalen Taktiken (meistens im Mittelmaß) beschränkt und von Monat zu Monat und Quartal zu Quartal auf das Sammeln von lauwarmen Interessentenlisten hangelt. Und am Schlimmsten kommt es meines Erachtens, wenn Unternehmen dann noch eine Bonus-Struktur an die Generierung von Leads hängen. Strategie bitte nicht gewünscht wenn es keine „Leads“ generiert.

Bei dieser Betrachtung von „Marketing als interne Dienstleistung“ oder „Shared services“ wie es oftmals heißt ermöglicht es nicht, kommunikative Wertschöpfung langfristig zu planen und umzusetzen. Sie limitiert das Denken und handeln zahlreicher Marketing-Abteilungen auf die nächstbeste Interessentenliste und Conversionoptimierung von 0,1% auf 0,2% (party!) und stellt das Marketing als Kostenfaktor dar, statt eine langfristige Wertschöpfung anzustoßen.

Es wird kein Palast gebaut, sondern eine Hütte, die alle paar Monate repariert werden muss.

Das hat nichts mehr mit dem Marketing von Peter Drucker zu tun, sondern ist bestenfalls eine Aufgabe die darauf wartet, automatisiert zu werden.